Dieser Text ist Teil der Literaturperformance "Das dunkle Land der Liebe", Erstaufführung 2017
Lesedauer: ca. 15 Minuten
1. Anton
Wenn sie tanzte, entstand im Umkreis von fünf Metern eine Todeszone. Man mied sie, oder trat ein – und wurde zu Staub zerrieben.
Ohne etwas zu tun, hat sie, während ich dastand und sie beobachtete, in zwei Stunden ein Dutzend Männer gemordet. Hartgesottene, erwachsene Männer. Es gefiel mir.
Ich trank und sah ihr zu.
Als sie aufsah, erkannten wir uns sofort.
Ich musste sie mit nach Hause nehmen. Wenn ich sie nicht mit nach Hause nähme, würde irgendwas geschehen. Etwas würde zu Bruch gehen, das war sicher.
Erst später, als ich sie zum ersten Mal anfasste, begann ich auch, ihren Körper zu begehren. Der ein Eigenleben besaß, als existierte er in einem dritten Raum, in
dem fremde Gesetze gelten.
Aber sie war es, die mich mitnahm. Sie war es, die sich auf mich setzte, im Wagen, den sie unter einem Baum abgestellt hatte und der fürchterlich schaukelte.
Wahrscheinlich hing ein Vorderrad in der Luft.
Ihr Körper tat, wozu er erschaffen war. Aber als ich ihr das sagte, lachte sie auf. Und obwohl ich wusste und gesehen hatte, wie viele Männer ihr zum Opfer gefallen
waren, musste ich sie immer noch bewundern. Und ich verfiel ihr haltlos, nachdem ich den ersten Schock über ihre Schwangerschaftsstreifen überwunden hatte.
Danach war ich hungrig.
Das war neu. Ich kenne mich aus mit dem Gefühl von Schalheit, der unweigerlichen Abneigung gegen diese Brüste, diesen Hintern, diese feuchte weiche Frauenhaut. Ich
werfe die Frauen raus.
Aber hier in dem schaukelnden Wagen spürte ich zum ersten Mal, wie es ist, Hunger zu haben.
Wie alt sie in Wirklichkeit war, erfuhr ich erst viel später. Sie ließ es mir in kleinen Häppchen zukommen, die ich schluckte, weil ich da bereits beschlossen
hatte, mich in ihr zu verstricken.
„Ich will dich wiedersehen“, sagte ich und es klang ärgerlich winzig. Ich wollte nach ihr greifen, aber sie strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, griff mit einer
Hand in meinen Nacken und fuhr mit ihr auf und ab.
Ich war wie ein Katzenjunges, das von der Mutter gepackt wird und ich wollte mich wehren und gleichzeitig mich zurücklehnen und ihr überlassen. Weil ich es konnte.
Weil sie es aushielt. Weil sie so viel mehr wusste als ich.
Sie saß über mir wie die Herrin allen Lebens und brachte ihren Mund an mein Ohr. Die Bewegung, die ihre Zunge in meinem Gehörgang machte, war eine schreckliche
Waffe. Sie nahm meinen neuerlichen Ständer zur Kenntnis wie eine beiläufige Selbstverständlichkeit.
2. Alma
Die ersten Monate trafen wir uns immer dort. Immer im Club, manchmal schon davor, immer im Auto. Ich ertappte mich dabei, wie ich begann, den Wagen
aufzuräumen. Nichts sollte an Arbeit erinnern, an Kinder, an ein Leben, das es außerhalb der Nächte gab. Er hatte mich einmal danach fragen wollen, aber ich hielt ihm den Mund zu.
„Das willst du alles gar nicht wissen.“ Er nickte, fügsam wie ein Hündchen.
Die Tage zogen sich endlos. Ab Mittwochnachmittag begann ich, ihn zu begehren. Und wenn ich ihn dann endlich sah, Freitags- manchmal erst
Samstagabends, war ich bereits so fiebrig und erschöpft, dass ich jede Falte in meinem Gesicht fühlen konnte. Aber meine Möse tropfte.
Und irgendwann sagte er: „Warum kann ich nicht tagsüber mit dir zusammen sein?“
„Es ist doch gut so, wie es ist“. Das klang nach Trotz, selbst in meinen Ohren.
Er hielt mich fest.
„Dann komm zu mir“, raunte er in mein Ohr. „Ich will dich auf dem Küchentisch nehmen. Auf dem Sofa. Auf dem Klo.“
//Lachen// „Auf dem Klo?“
Er sah mich an, abwartend. Er wartete auf meine Antwort. Ich unterdrückte den Impuls, zu schlucken. Mit wem konkurrierte ich? Da sind diese Bilder.
Bilder von makellosen jungen Frauen, die Anton alle haben konnte.
„Gut“, sagte ich. „Bei dir.“
Er drückte mir eine Karte in die Hand. Nur sein Name und eine Adresse, mehr nicht. Ich nickte und dann warf ich ihn mit einem falschen Lachen aus
dem Wagen. Er zwinkerte mir zu. Er war anbetungswürdig.
Wir fickten fünf Stunden.
Wir ließen kein Zimmer aus, kein Stück Parkett, nicht das Klo, nicht den Küchentisch. Als ich wund gescheuert war, drehte ich mich um und ritt ihn
wie eine Wahnsinnige, um das unerträgliche Gefühl zu vertreiben, dass ich mich auf fremdem Territorium befand.
„Unsicherheit.“ Das war die kleine, kalte Stimme des großen Sezierers. „So heißt das Gefühl, vor dem du davonzureiten versuchst.
Un-sich-er-heit.“
Ich wischte ihn davon und als Anton unter mir kam, mit einem jungenhaften Grunzen, warf ich dem Sezierer in grimmiger Genugtuung einen Blick zu, der
ihn hoffentlich vernichtete.
Danach gingen wir los, obwohl wir beide kaum noch laufen konnten.
Anton holte von der Bar zwei Getränke und als er zurückkam, brachte er einen anderen jungen Mann mit.
„Anton hat schon viel von dir erzählt.“ Er hielt mir die Hand hin. Anton mied meinen Blick.
„Aber wie alt du bist, damit wollte er nicht herausrücken.“
Er hatte ein entnervendes Anfang-zwanzigjähriges „Mir-gehört-die-Welt“-Lächeln. Ich war wund gevögelt und müde und beeindrucken musste ich heute
auch niemanden mehr. Ich sagte es ihm.
Das Lächeln kippte aus seinem Gesicht.
„Sie… Sie sehen viel jünger aus“, stotterte er und trat zurück. Er trat eine ganze Welt an Schritten zurück, obwohl es nur ein einziger Schritt war.
Ich war kurz davor, aufzuheulen und ihn anzuschreien: „Es ist nur eine Zahl!“ Weil er zurückschreckte und weil er „Sie“ sagte und sich jedes seiner Worte anhörte, als ob er die Frisur seiner
Großmutter kommentiert: „Flott.“
Plötzlich war ich ohnmächtig. Ich stand auf und flüchtete. Anton kam mit vor die Tür, aber ich wollte ihn auch loswerden, wollte allein sein, wollte
weg von dem allen, denn was wusste ich schon von Fünfundzwanzigjährigen? Vielleicht hatte Anton mich heimlich fotografiert und mein Foto kursierte nun auf Instagram zur Belustigung seiner
Freunde. Titel: „geile Alte will’s nochmal wissen.“ //Schrei//
Vielleicht hatte ich mich zu Unrecht schön gefühlt. Es zu Unrecht, in einer Naivität, die kein Alter kennt, normal gefunden, mit ihm zu schlafen. So
wie Männer es normal finden mit einer fünfzehn Jahre jüngeren. Ich schickte Anton wieder hinein. Ich schrie ihn an und hätte mich in den nächsten Gulli erbrochen, wenn nicht der Sezierer in
diesem Moment wieder aus seinem Versteck gekrochen wäre mit hochgezogenen Augenbrauen.
Anton stand da, die Arme hingen an ihm wie vergessene Kleidungsstücke.
Ich ging weg.
Ich löschte seine Nummer aus meinem Adressbuch. Pubertär. Ich hatte sie ja zu Hause eingetragen. Handschriftlich in ein Adressbuch aus Papier. Wie
Frauen meines Alters das machen.
3. Anton
Vielleicht ist es normal, dass es sich irgendwann dreht. Es dreht sich immer und immer hat einer mehr Macht. Seit dem letzten Abend weiß ich sicher, dass ich das
bin. Ich lächle die halbe Woche blödsinnig durch die Gegend und spüre, dass ich unverwundbar bin. Natürlich gibt es andere Frauen. Alma weiß das. Ihr gehören die Wochenenden. Ich reserviere sie
für sie und manchmal ziehe ich sie auf damit.
Dass es sich dreht, ist gefährlich, und das spürt Alma. Sie steht auf, zündet sich eine Zigarette an und sieht auf mich herunter.
„Eine Frau sollte sich erst dann einen älteren Mann nehmen, wenn sie mindestens vierzig ist“, sagt sie.
Der Rauch kommt unkontrolliert aus ihrem Mund und ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass sie doch wohl genug Zeit hatte, zu lernen wie man ihn anständig ausstößt.
Wenn schon kein Ring, dann doch wenigstens ein sauberer Zug nach oben oder nach unten oder meinetwegen auch zur Seite.
„Ab vierzig also“, sage ich. „Du widersprichst dir schon wieder. Ich dachte, da soll man sich einen Fünfundzwanzigjährigen nehmen?“
Sie lacht. „Klar. Das bestgehütete Geheimnis seit Kinsey: Das ist die einzige Paarung, die im Bett zusammenpasst. Aber weißt du was? Jung fühlt man sich da nicht.
Vielleicht funktioniert das wieder bei einem 60jährigen. Ich weiß um jede Falte, glaub mir.“
„Ich find die eigentlich ganz süß.“
Sie betrachtet mich nachdenklich, während sie den nächsten Zug nimmt. Diesmal pustet sie nach oben aus. Die reinste Rauchsäule, hinter der ihr Gesicht einen Moment
lang konturlos wird.
Mein Schwanz regt sich in einem müden Versuch. Aber ich bin ausgebumst, definitiv. Glaube ich.
„Guck mal“, sage ich, „er winkt dir zu.“
„Und was sagt er?“
„Dass du zurück ins Bettchen sollst.“
Sie lächelt.
4. Alma
Es gibt etwas, das sich in den Armen eines Mannes findet, dem die Jahre fehlen. Etwas in den Armen des Mannes, der die Jahre mit einem teilt – und
etwas in den Armen des Mannes, der einem die Jahre voraushat.
Mit einem Mal fällt etwas von mir ab. Ich weiß plötzlich, ich kann lachen und mich entspannen und alles sein, das ich in seinen Augen bin. Er hat so
viele Jahre seines Lebens bereits gelebt und ich liebe die Gelassenheit, die darin liegt.
Carlo sieht mich an, während ich an seinem Brusthaar kaue, und dann lacht er auf und als ich aufstehe, klopft er mir auf den Hintern.
Carlo ist vierundfünfzig. Doch als ich höre, wie er in die Küche geht; als ich höre, wie er den Kühlschrank mit einem irrsinnig Ton anjuchzt, bevor
er die Milch heraus holt, muss ich lachen. Der Ton perlt an der Wand entlang, bis er sich irgendwo an der Dachschräge verliert und zu Tausenden auf den Boden tropft. Meine Haut kräuselt
sich.
Ich gehe in die Küche, wo er mit dem Rücken zu mir sitzt.
Er versucht, seine viel zu langen Beine zu sortieren unter dem Küchentisch, lässt es schließlich sein und lehnt sich zurück. Carlo wirkt immer, als
habe er das Hemd halb aufgeknöpft – egal, ob er angezogen ist oder nackt.
Ich liebe, wie er manchmal aufspringt, als sei er zu lange von einer Feder gehalten worden. Ich liebe es, obwohl ich genau spüre, dass er sich an
etwas erinnert, von dem er glaubt, es verloren zu haben. Aber ich weiß, dass er es nicht verloren hat. Ich weiß, wie es ist, sich der Tatsache stellen zu müssen, dass es einen Unterschied gibt.
Vierzehn Jahre sind ein Unterschied. Und nichts von dem, was ich sage, kann etwas daran ändern. Ich bin glücklich, wenn ich sehe, wie er die Füße in den Boden rammt beim Aufstehen, doch ich sage
es ihm nicht. Carlo ist kein Mann, der Almosen verträgt. Und in dem Moment, in dem ich diesen Gedanken habe, am Küchentisch, zwischen halb ausgetrunkenem Kaffee und dem beinahe vergangenen Duft
nach Toast, will ich ihn so sehr, dass es schmerzt.
Er sieht mich an. Er lacht nicht, wie es Anton getan hätte. Anton, den ich in den hintersten Winkel meines Gehirns verbanne, weil der Gedanke mich
unweigerlich dazu bringt, den Bauch einzuziehen.
Carlo sieht mich an. Und dann kommt er auf mich zu.
Ich finde es nicht einmal albern, mich von ihm zum Bett tragen zu lassen. Ich lehne mich an seinen Hals und atme seinen Geruch ein und weine ein
bisschen. Nur wenig, gerade so viel, dass er es nicht merkt, bis wir beim Bett angekommen sind. Vielleicht merkt er es ja doch.
Er legt mich hin, sehr sanft.
Und als mir klar wird, dass ich nicht auf dem Boden landen werde, auf dem Teppich, oder direkt auf dem Holz, dass ich mich heute um nichts kümmern
muss, muss ich gleich noch mehr heulen. Ich reibe mir die Augen und lache und versuche, ihm einen Witz zu erzählen, damit dieses unsägliche Kleinmädchengefühl verschwindet.
Doch dann beugt er sich über mich und brummt mir etwas ins Ohr. Es kitzelt und ich lache und er macht weiter und ich verstehe, dass es ein Rhythmus
ist. Carlo hört nicht auf, und obwohl ich mir albern vorkomme, mache ich schließlich mit.
Mit seiner Stimme am Ohr beginne ich etwas zu verstehen. Ich schließe die Augen und fange an, auf seinen Rücken zu trommeln und dann singen wir und
es ist vermutlich das Schönste, das ich jemals gesungen habe. Oder es ist das Fürchterlichste.
Und bevor ich wieder anfange, zu heulen, schlafe ich mit ihm.
5. Anton
Dass sie mit einem Vierundfünfzigjährigen ins Bett geht, schockiert mich. Ich kämpfe dagegen an, aber plötzlich passiert etwas Erdrutschartiges in mir. Ja,
verdammt, ich war mir sicher, dass ich halbwegs sicher bin. In diesem Moment wird mir klar, dass ich einen Scheißdreck weiß.
Es hilft auch nicht, mir die Falten vorzustellen, die nachlassende Potenz. Witze über Viagra. Nichts hilft.
Ich sehe Alma, wie sie seufzt und stöhnt… ich muss dieses Bild loswerden und gehe zum Kühlschrank. Als ich die Bierflasche herausgeholt habe, knalle ich die Tür zu
und mir wird klar, dass die Nacht lang werden wird.
Alma stöhnt pausenlos in mein Ohr, mit ihrer immer leicht metallenen Stimme, die mich an einem empfindlichen Nerv getroffen hat, auch wenn ich ihr das nie gesagt
habe.
Sie stöhnt herum und ich lache sie aus. Lache den alten Trottel aus, der glaubt, er könne sich noch einmal verjüngen mit ihr. Doch sie hören nichts. Ich schreie sie
an. Sie hören immer noch nichts.
Und dann wird mir klar, dass ich es verdammt nochmal nicht ertrage.
Ich schreibe Sibylle eine SMS. Eine Viertelstunde später schreibe ich eine an Aline.
Sie antworten nicht, die blöden Schlampen.
Was tut Alma jetzt? Wo sind sie? Sitzt sie auf ihm? Wie oft kriegt er ihn noch hoch, der alte Sack?
Was tut er mit ihr, von dem ich keine Ahnung habe? Er hat mir dreißig Jahre voraus. Dreißig Jahre, in denen er vielleicht gelernt hat, was Frauen
wollen.
Aus meiner Brust kommt ein Grollen und dann tue ich etwas, was ich die ganze Zeit nicht tun wollte. Niemals, niemals, niemals. Mein ganzer Stolz schreit auf. Doch
dann bin ich kurz davor, das dritte Bier über die beschissene weiße Hose zu kippen, die Alma so gefällt und ich knalle den Kühlschrank zu. Ich setze mich ans Laptop und befinde mich ein paar
Minuten später auf einer Seite für Cougar-Paare.
„Toyboy oder Liebe?“ heißt ein Forumseintrag.
Nachdem ich ihn gelesen habe, schmeiße ich die Bierflasche an die Wand. Das Bier schäumt auf und das freut mich aus einem irrsinnigen Grund ganz
besonders.
Aline schreibt eine SMS.
Ich schreibe: ich will dich ficken.
Sie schreibt: fick dich selbst.
Ich hole ein viertes Bier aus dem Kühlschrank und verreibe mit einer Hand den Fleck an der Wand.
6. Anton - Alma
Alma ist im Bad.
Seit einer Ewigkeit.
Ich habe keine Ahnung, was sie dort macht; während ich warte, zünde ich eine Zigarette an. Ich will etwas in der Hand haben, wenn sie zurückkommt, setze mich auf,
lehne mich an die Wand, stelle den Aschenbecher auf meinem Hosenbund ab. Mein Oberkörper ist nackt. Ich ziehe den Bauch ein.
Aber Alma kommt nicht.
Ich will nicht auf die weiße Hose aschen, also ziehe ich den schweren Glasteller weiter nach oben. Er ist kalt auf der Haut und ich fürchte, albern auszusehen mit
dem Ding, das auf meinem Bauchnabel balanciert und sich bei jedem Atemzug hebt, wackelt und wieder senkt.
Ich stelle den Aschenbecher neben mich aufs Sofa.
Von der Kippe ist nicht mehr viel übrig, und ich überlege, gleich eine Zweite anzuzünden. Da ist dieser Moment, wenn man sie anzündet, ein Bein aufgestellt, den Arm
über das Knie gelehnt und die Flamme mit der Hand beschirmend. Der perfekte Moment, den Alma sehen soll, wenn sie gleich hereinkommt.
Aber Alma kommt nicht.
Ich könnte auch mein Handy holen, aber den Gedanken verwerfe ich gleich wieder. Auf dem Handy herumtippen ist nicht sexy.
Ich stehe auf, greife nach dem Aschenbecher, drücke die Kippe aus, während ich ihn auf dem Tischchen abstelle und dann gehe ich in die Küche, am Badezimmer
vorbei.
Es dringt kein Laut heraus.
Plötzlich werde ich misstrauisch. Ein ekelhaftes Gefühl, das ich seit Carlo mit mir herumschleppe wie einen Parasiten, der beim kleinsten Anzeichen von Schwäche
sofort seine Zähne in mich schlägt.
Was tut sie?
Ich mache mich bereit, mit einem Ruck die Tür aufzustoßen und sehe Almas erschrockenes Gesicht schon vor mir, während sie an einer SMS an Carlo bastelt. Für wie
blöd hält sie mich?
Ich reiße die Tür dann doch nicht auf, sondern drücke vorsichtig mit zwei Fingern dagegen.
Alma ist nackt.
Als ich langsam von hinten an sie herantrete, treffen sich unsere Blicke in dem Spiegel, in den sie starrt. Ihr Gesicht ist nass von Tränen.
Ich lege die Arme um ihre Taille, aber Alma stößt mich weg.
„Lass mich.“ Ich greife nach meinen Klamotten, die am Boden verstreut herumliegen.
„Was ist denn?“
„Lass mich einfach.“
Ich will mich an Anton vorbeidrängen, aber er hält mich am Handgelenk fest.
Widerwillig sieht Alma mir ins Gesicht.
„Was willst du von mir?“
„Dass du mit mir sprichst.“
„Und warum? Damit du mit deinen Freunden über mich lachen kannst?“
Ich bin so perplex, dass ich ihr Handgelenk aus dem Griff verliere und Alma es mir entzieht.
Ich stürme aus dem Bad und er folgt mir.
Ich frage mich, was verdammt nochmal sie meint.
Im anderen Zimmer zündet sich Alma eine Zigarette an und verbrennt sich dabei den Finger.
„Scheiße!“
Ich komme langsam näher, weiß immer noch nicht, was ich tun soll, da dreht Alma sich ruckartig um.
„Sieh mich an!“ Ich breite die Arme aus, verstecke nichts von meinem Körper. „Ich bin vierzig Jahre alt!“
Ich fühle mich ratlos und zucke mit den Schultern. „Ich weiß?“
„Du kannst ein Dutzend andere Frauen haben. Schönere. Jüngere. Was willst du von mir?“
Ich atme tief ein und aus und dann tue ich etwas, das ich die ganze Zeit schon hätte tun sollen. Ich gehe auf Alma zu und ich halte ihre Hand fest, die freie Hand
ohne Zigarette, und dann sehe ich sie an und sage: „Ich will mich in deinen Augen spiegeln. Ich will, dass du mich siehst!“
Ich starre Anton an, während ich den Sinn seiner Worte Stück für Stück zusammensetze. Ich zittere. Und dann sehe ich Anton.
Ihr Blick fräst sich durch meinen Körper, bis von mir nicht mehr viel übrig ist und ich in geschmolzenen Einzelteilen schwimme.
„Je älter ich werde, desto weniger kann ich die Vergänglichkeit ertragen.“
„Alles ist Windhauch.“
//Lachen// „Was?“
Ja.
Als ich weine, schmecken sie salzig, die Tränen. Immer noch.
©Angela Mohr 2017