die probe

 

1

 

Als sie aufwachte, war sie nicht allein. Sie kreischte auf. Wollte aufspringen. Es ging nicht. Er lag auf ihr.

 

 

2

 

„Geh sofort runter!“ rief sie.

„Würde ich ja gern.“ Er wand sich. Etwas zog an ihrem Rücken.

„Au!“ Der Schmerz war hell und brennend. „Was zur Hölle? Was machst du da, verdammt?“

„Ganz sachte“, entgegnete er. „Ich hab mir das hier auch nicht ausgesucht.“

 

 

3

 

„Wie kommst du überhaupt hierher?“

Sie musste sich anstrengen, um nicht hysterisch zu lachen. Zu schreien. Um sich zu schlagen. Ihre Arme gehorchten ihr nicht.

„Ich hab keine Ahnung“, sagte er. Seine Stimme hörte sich ehrlich an. Sie glaubte ihm. Sie kannte ihn. Sie roch seinen Atem.

Sie hatte seinen Atem nie wieder riechen wollen.

 

 

4

 

„Wo sind deine Hände? Stütz dich gefälligst ab, du bist verdammt schwer!“

„Sorry“, sagte er und ließ sich auf die Seite fallen. Sie wurde mitgezogen. Der Schmerz auf ihrer Haut riss an ihrem Verstand.

„Was ist das?“ schrie sie.

„Klebeband“, sagte er. „Ich glaube, das ist Klebeband.“

„Du hast zugenommen.“

 

 

5

 

 „Mach es ab!“

„Meine Hände sind gefesselt.“

„Meine auch.“

Sie schwiegen einen Moment. Sie roch seinen Schweiß. Ihr wurde übel.

„Damit ich das richtig verstehe: jemand hat uns mit Klebeband zusammengebunden, die Hände gefesselt.“

 „Scheint so.“ Sie schwiegen einen Moment.

 „Sag mal…“ Seine Stimme hörte sich seltsam an. „Sind wir nackt?“

 

 

 6

 

„Wir müssen aufstehen“, sagte sie. „Irgendwie dieses Zeug loswerden.“

„Okay“, sagte er. „Und wie?“

„Auf Drei“, sagte sie. „Nach links. Eins…zwei…“

Sie landeten unsanft auf dem Boden. Das Klebeband schnitt in ihre Haut. Sie schrien auf.

„Wenigstens bin ich jetzt oben“, sagte sie.

„War ja schon immer deine Lieblingsstellung.“

„Leck mich.“

„Schwierig.“

 

 

7

 

Sie versuchte, ihren Kopf so weit von ihm zu entfernen, wie es ging.

„Was?“

„Es war eine Wette.“ Das war keine Frage.

„Was für eine Wette denn?“ Sie glaubte ihm nur noch halb.

„Irgendwas mit…“ Als die absurde Erkenntnis sie erreichte, entfuhr ihrer Kehle ein Laut, der sich nicht zwischen Schreien und Gelächter entscheiden konnte…„Auf den Bauch binden“, gluckste sie und dann, so laut, dass ihm die Ohren dröhnten:

 

„SARAH!!“

 

 

9

 

Wie habt ihr euch befreit?

„Schweiß löst den Kleber.“

Sarah hob eine Augenbraue.

„Kniebeugen.“

„Er hasst Sport.“

„Eben.“

Sie tranken Kaffee.

„Warst du erregt?“

„Nicht das kleinste bisschen.“

Sarah grinste. „Gut“, sagte sie. Dann war nur noch ihr beider Schlürfen zu hören. 

 

 

 

©Angela Mohr, 2024