killerspermien

 

1

 

„Versteh mich nicht falsch“, sagt er und nimmt sein Glas in die Hand. „Es ist ja nichts Schlimmes. Nur eine Tatsache. Biologie. Der Mann will sein Sperma möglichst weit verteilen. Die Frau sucht nach einem Versorger für den Nachwuchs. Das kommt noch aus der Steinzeit.“

 

 

2

 

In dem Glas ist Wein. Kein guter, kein besonders schlechter. Die rote Farbe schimmert mehrschichtig im Schein der Lampe.

Er ist tolerant. Nur manchmal, da ist es eben schwierig mit dem unverbindlichen Sex. Weil die Frauen dann mehr wollen und dann gibt es Drama und dann muss man Nerven haben wie Drahtseile.

 

 3

 

Ich sehe ihn an. Er lächelt. Gegen die Biologie kann niemand etwas ausrichten, Zivilisation hin, Feminismus her. Seine Argumentation ist stichhaltig.

„Killerspermien“, sage ich, lächle milde und greife ebenfalls nach meinem Glas. Der Wein ist zu warm.

 

 4

 

Er lächelt immer noch.

„Killerspermien“, wiederhole ich, etwas langsamer.

 Er hebt die Augenbrauen.

 „Hat die Natur erfunden. Biologisch gesehen sollte eine Frau um ihren Eisprung herum mit so vielen Männern Sex haben wie möglich. Damit das beste Spermium gewinnt. Zur Aufzucht sind dann reine Frauengruppen das Sinnvollste.“

 

 

5

 

Ich stelle mein Glas ab und greife in die Bonbonniere. „Also, rein biologisch natürlich.“

Das Papier knistert angenehm unter meinen Fingern. Ich nehme eine Nougatkugel heraus und entwickle sie langsam.

 

 6

 

Er lacht. „Ganz schön frech“, sagt er. „Aber das gefällt mir.“

„Hast du schonmal darüber nachgedacht, wo Sex stattfindet? Also -“

Ich schiebe mir die Nougatkugel auf einmal in den Mund. Keine gute Idee, wie sich herausstellt „- heterosexueller Sex“, setze ich nach. Es klingt wie ‚hehehosechueller Chekch‘

 

 7

 

Er lacht wieder. „Naja, wo man Bock aufeinander hat, nehme ich an? Bett, Fußboden, Auto, Strand…“

Ich bohre mit der Zunge in die Schokolade, bis sich die Kugel teilt und der Nougat in meinem Mund einen Tanz mit den Wangeninnenseiten beginnt. Mir wird anarchistisch zumute. Kurz überlege ich, den Mund zu öffnen und Schokospeichel auf das Sofa tropfen zu lassen.

 

 8

 

„Wo magst du es denn am Liebsten?“ misinterpretiert er meinen Gesichtsausdruck.

Ich schüttle den Kopf. Der Nougat schmilzt zusammen, löst sich auf.

„In IHR“, sage ich. Er runzelt die Stirn.

„In IHREM Körper findet Sex statt.“

Ich spüle die Nougatreste mit Wein hinunter.

 

 

9

 

„Wann ist zum letzten Mal Körperflüssigkeit deiner Partnerin aus dir herausgetropft?“

„Was?“ schnappt er.

Ich setze das Glas ab und stehe auf.

„Eben“, sage ich .

Die entscheidende Frage, bevor ich gehe, ist, ob ich noch eine rote oder eine braune Nougatkugel mitnehme.

 

 

©Angela Mohr, 2024